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«Staffelübergabe» und MS-Forschungserfolg

Dr. Jens Bansi, seit 17 Jahren als Sportwissenschaftler in Valens tätig, übernahm mit 1. Juni 2021 die Funktion des Leiters Forschung und Entwicklung im Bereich der Therapien. Begleitet wird dieser Wandel im Rehazentrum Valens von einem wichtigen Meilenstein für Jens Bansi und das gesamte Forschungsteam: Die Veröffentlichung ihrer Multiple-Sklerose-Studie in «Neurology – Neuroimmunology & Neuroinflammation», einer der weltweit renommiertesten neurologischen Fachzeitschriften.

Der Karrieresprung und der beachtliche Forschungserfolg ereigneten sich fast gleichzeitig, doch beiden Ereignissen ging eine lange Vorbereitung voraus.

Forschungsabteilung der Therapien steht unter neuer Leitung

Die Übernahme der Leitung Forschung und Entwicklung im Bereich der Therapien durch Jens Bansi wurde bereits seit Längerem vorbereitet, da der langjährige Leiter Dr. Jan Kool seine Frühpensionierung plante. Er bleibt dem Rehazentrum Valens jedoch mit einem 20-Prozent-Pensum erhalten. Jens Bansi freut sich auf die neue Aufgabe als Forschungsleiter:

«Die Arbeit im Rehazentrum Valens macht mir auch nach vielen Jahren noch grosse Freude. Als Team haben wir grossartige Erfolge gefeiert und mit Jan Kool hatten wir einen extrem engagierten und erfahrenen Forschungsleiter – ich freue mich, weiterhin auf seine Expertise zählen zu können. In meiner neuen Position möchte ich vor allem das offene und innovationsfreundliche Arbeitsklima weiter pflegen und das Taktgeber-Image der Valenser Forschung erhalten und weiterentwickeln. Das Schöne an unserer Forschung ist, dass wir alle neuen Erkenntnisse direkt in die Praxis umsetzen können – wir arbeiten mit und für unsere Patientinnen und Patienten.»

Dr. Jens Bansi, Leiter Forschung und Entwicklung, Kliniken Valens
Dr. Jens Bansi, Leiter Forschung und Entwicklung im Bereich der Therapien, Kliniken Valens

Multiple-Sklerose-Studie in renommiertem Fachmagazin veröffentlicht

Kurz vor der Ernennung von Jens Bansi zum neuen Forschungsleiter wurde die Veröffentlichung einer kürzlich abgeschlossenen MS-Studie in der Mai-Ausgabe des renommierten neurologischen Fachmagazins «Neurology – Neuroimmunology & Neuroinflammation» bekannt. In der Studie, die in Kooperation mit Dr. Dr. Philipp Zimmer von der Deutschen Sporthochschule Köln durchgeführt wurde, untersuchten Dr. Jens Bansi, Dr. med. Roman Gonzenbach und Dr. Jan Kool mit ihrem Forschungsteam, wie sich ein hochintensives Intervalltraining (HIIT) auf das Entzündungsgeschehen von MS-Patientinnen und -Patienten auswirkt.

Chronische Entzündungen im Gehirn sind ein zentrales Element in der MS-Forschung; sie führen zum Abbau der Isolierschicht bestimmter Nervenbahnen und somit zur Verschlechterung von motorischen und kognitiven Funktionen bei den Betroffenen.

Für die eindeutige Feststellung, wie sich das Entzündungsgeschehen durch das hochintensive Intervalltraining beeinflussen lässt, wurden neue Marker im Blut, die sogenannten Neurofilamente, ausgewertet. Dieser erst kürzlich entdeckte Blutbestandteil kann vergleichsweise kostengünstig nachgewiesen werden und ist ein wesentlicher Indikator für Entzündungen.

Deutlich reduzierte Entzündungswerte – Bewegung schützt nachweislich das Gehirn

Dass die Studie Eingang in «Neurology» fand, hat einerseits mit dem deutlichen Ergebnis zu tun, andererseits mit dem Studiendesign, wie Jens Bansi ausführt: «In unserer Studie konnten wir – vereinfacht gesagt – nachweisen, dass die Werte, die höchstwahrscheinlich chronische Entzündungen und chronische Müdigkeit hervorrufen, mit einem hochintensiven Intervalltraining deutlich reduziert werden. Wir haben 69 Personen mit MS nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt.

Eine Gruppe absolvierte 3 Mal pro Woche für 15 Minuten ein hochintensives Intervalltraining auf dem Ergometer. Dabei radelten die Probandinnen und Probanden jeweils 1 Minute bei 90 bis 100 Prozent ihrer individuellen Höchstleistung und machten dann 3 Minuten Pause. Die andere Gruppe absolvierte das bewährte Valenser Training: täglich 30 Minuten bei ca. 65 Prozent der individuellen Höchstleistung. Um in unserer Studie die Vergleichbarkeit der Daten sicherzustellen, haben wir nur Werte verwendet, die objektiv messbar sind. Beispielsweise haben wir nur Personen in die Studie aufgenommen, die einen EDSS-Wert zwischen 3.0 und 6.0 hatten, also ‹moderat› eingeschränkt waren.»

Wie Bansi weiter ausführt, wurde auch die Veränderung der Blutkonzentration zu genau definierten Zeitpunkten gemessen: einmal vor dem Training, einmal direkt im Anschluss an das Training und einmal 3 Stunden nach dem Training. Die in Köln durchgeführten Blutanalysen erbrachten den Nachweis, dass sich die Konzentration der Neurofilamente nach dem hochintensiven Intervalltraining jeweils deutlich stärker abgesenkt hatte als nach dem ‹normalen› Training.

Erklärung auch für die Entstehung der chronischen Müdigkeit (Fatigue) bei MS

Gleichzeitig konnten die Forscher in der Studie den Aufbau von Kynurenin untersuchen. Das ist ein eiweissähnlicher Blutbestandteil, der unter anderem für die Herstellung von Tryptophan verantwortlich ist. Tryptophan wiederum baut die Glücks- und Schlafhormone Serotonin und Melatonin auf. Bei MS-Betroffenen hat sich gezeigt, dass es durch die Entzündungen auch zu einer Überproduktion von Kynurenin und Tryptophan kommt. Diese Patientinnen und Patienten entwickeln häufig Schlafstörungen und depressive Verstimmungen sowie chronische Müdigkeit (Fatigue), die im Übrigen auch bei Krebs oder Parkinson auftritt.

Bei Probandinnen und Probanden, die das hochintensive Intervalltraining absolviert haben, verschob sich diese Zusammensetzung hin zu einer neuroprotektiven Wirkweise: Die Kynurenin- und Tryptophan-Konzentration nahm ab.

Multiple Sklerose bremsen mit hochintensivem Intervalltraining

Die Forscher gehen davon aus, dass sich eine Abnahme der Neurofilamente sowie die positiven Veränderungen im sogenannten Kyurenin-Pfad und pNFL-Spiegel schützend auf das Gehirn auswirkt, weil sich der Abbau der Isolierschicht von Nervenbahnen verlangsamt. Damit wäre es möglich, das Fortschreiten der Krankheit durch ein regelmässiges hochintensives Intervalltraining zu verlangsamen und die motorischen und kognitiven Funktionen zu erhalten. Dies muss allerdings in weiteren Forschungsarbeiten nachgewiesen werden.

Weltweit leiden fast 3 Millionen Menschen an der Krankheit Multiple Sklerose, die als unheilbar gilt. Jens Bansis Studie und andere neuere Arbeiten haben in den letzten Jahren jedoch eindrücklich gezeigt, dass Bewegung bei Menschen mit MS das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen kann.

Wie Bansi erklärt, kommt dabei auch der Regelmässigkeit eine tragende Rolle zu: «Entscheidend auf lange Sicht ist, dass die Betroffenen das Ziel verfolgen, einen bestimmten Referenzwert in ihrer Fitness zu halten: den eines gesunden, durchschnittlich fitten Menschen. Denn ihr Organismus kann schwächende Einflüsse, wie eine Erkältung oder längere Trainingspausen, weniger gut kompensieren. Im Vergleich zu einem gesunden Menschen brauchen sie viel länger, bis sie wieder ihr altes Niveau erreichen – wenn sie es denn überhaupt schaffen. Deshalb ist die stetige Bewegung, das Dranbleiben, so enorm wichtig für den Krankheitsverlauf bei MS.»

Valenser Forschung als Motor für Dogmenwechsel: Aus «Schonen» wurde «HIIT»

Noch vor 20 Jahren war die einhellige medizinische Meinung, dass sich MS-Patientinnen und -Patienten schonen müssten. Doch die Valenser Forscher kamen zu der Überzeugung, dass dies nicht der Weisheit letzter Schluss sein konnte. 2004 wiesen sie nach, dass ein tägliches Training bei 65 Prozent der individuellen maximalen Leistungsfähigkeit eine Besserung bei MS bringt. 2008 führten sie eine weitere Studie durch, in der der Effekt von Krafttraining genauer untersucht wurde.

Auch andere Institutionen forschten nun in diese Richtung, bis es schliesslich auch in der breiten Wissenschaft Konsens war, dass MS-Betroffene trainieren müssen, um ihre Krankheit zu verlangsamen. Heute ist die MS-Forschung noch weiter; im Fokus steht weltweit das hochintensive Intervalltraining (HIIT), das hart an die Grenzen der persönlichen Leistungsfähigkeit geht. Zu diesem Dogmenwechsel haben die Forscher aus Valens viel beigetragen. So ist die Lehrmeinung in mehreren Schritten von der Ansicht weggekommen, schonen sei die beste Medizin. Jetzt heisst es: bewegen, bewegen, bewegen – und «viel hilft viel».

 

Die Bedeutung von «Neurology – Neuroimmunology & Neuroinflammation»:
Das neurologische Fachmagazin hat einen Impactwert von 7,7 – und gehört damit zu den renommiertesten, das heisst meistzitierten Fachmagazinen weltweit.

Bericht der International Society of Tryptophan Research über die Studie
(Mai-Highlight 2021):

http://www.istry.org/news/featured-articles/

Die Studie ausführlich und in voller Länge:
Die Studie trägt den Titel Exercise Diminishes Plasma Neurofilament Light Chain and Reroutes the Kynurenine Pathway in Multiple Sclerosis und ist abrufbar unter https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33782190.

Bildtext: v.l.n.r: Dr. Jens Bansi, Leitung Forschung und Entwicklung im Bereich der Therapien, Dr. Jan Kool, Senior Researcher, und Dr. med. Roman Gonzenbach, Chefarzt Klinik für Neurologie und Neurorehabilitation, haben die Multiple-Sklerose-Studie in Kooperation mit der Deutschen Sporthochschule Köln durchgeführt. Bildrechte: Kliniken Valens