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Wenn der Körper schmerzt – Formen von Weichteilrheuma

Manchmal ist es einfach ein Muskelkater, eine Bänderzerrung oder eine andere harmlose Verletzung. Was aber, wenn hinter den Schmerzen mehr steckt? Was, wenn es Weichteilrheuma ist? VOILÀ klärt auf.

Wer über einen längeren Zeitraum über Schmerzen im Bereich der weichen Strukturen des Bewegungsapparates klagt, leidet möglicherweise an Weichteilrheuma. Zu den weichen Strukturen zählen Muskeln, Sehnen, Bänder, Schleimbeutel, Nerven, Faszien oder auch das Fettgewebe. Nicht jedoch Knochen, Gelenke und Gelenkknorpel – also die «knöchernen» Bereiche.

Ohne das Leiden der Betroffenen abwerten zu wollen, sei vorweg gesagt: Weichteilrheuma ist keine schwerwiegende Krankheit, bei der etwa mit einer verminderten Lebenserwartung zu rechnen ist. Wohlgemerkt gelte dies nur für die nicht-entzündliche Form, erklärt Prof. Dr. Stefan Bachmann, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Klinik für Rheumatologie und internistische Rehabilitation der Kliniken Valens, der Vollständigkeit halber: «Beim entzündlichen Weichteilrheuma handelt es sich um eine schwerwiegende Autoimmunerkrankung, die in der Regel leider oft mit Komplikationen der inneren Organe einhergeht.»

Zu viel des Guten

Hingegen ist nicht-entzündliches Weichteilrheuma – wenngleich schmerzhaft – gut in den Griff zu bekommen. Unterschieden wird dabei zwischen der generalisierten Form und den lokalisierten Ausprägungen. Bei Letzteren beschränken sich die Schmerzen auf eine bestimmte Körperstelle oder -region. Das wohl bekannteste Beispiel ist der Tennisellbogen oder Mausarm. «Eine Überbeanspruchung der Unterarmmuskulatur führt zu ständigen Reizungen ebendieser und in der Folge zu Schmerzen am Ellbogen, die auch bis in die Hände oder Schultern ausstrahlen können», erklärt der Facharzt für Allgemeine Innere Medizin, Rheumatologie, Physikalische Medizin und Rehabilitation.

Allein: Der Tennisellbogen ist nur ein Beispiel, denn lokalisiertes Weichteilrheuma kann so gut wie überall auftreten und zwar vor allem dann, wenn eine nicht trainierte Muskulatur zu sehr beansprucht und/oder wenn eine Bewegung immer wieder durchgeführt wird. Man denke nur an Handwerker, die ständig über Kopf arbeiten und dies schlussendlich mit einem schmerzenden Schultergürtel oder einer Schleimbeutelentzündung «büssen». Oder an Jogger, die untrainiert und möglicherweise sogar mit schlechtem Schuhwerk ihre ersten Runden drehen. Wobei auch bei geübten Sportlern rund ums Knie so einiges in Mitleidenschaft gezogen werden kann, schliesslich agiert dieses als Scharnier, Hebel und Stossdämpfer zugleich: Die Indikationen reichen vom «Jumper’s Knee» (in der Fachsprache Patellasehnenentzündung) über das Schienbeinkantensyndrom, bei dem die vordere Unterschenkelmuskulatur zu stark beansprucht wurde, bis hin zu Fersensporn und Problemen mit der Achillessehne.

Schmerzen am ganzen Körper

Bei der generalisierten Form, der sogenannten Fibromyalgie, treten die Schmerzen in den Weichteilen des gesamten Körpers auf. Hinzu kommen vielfach Müdigkeit, rasche Erschöpfung, nicht erholsamer Schlaf, Reizdarm-Syndrom oder gar Depressionen und Gedächtnisprobleme. Die Ursache ist nach wie vor unbekannt, wenngleich es diverse Vermutungen gibt: Unter anderem haben Untersuchungen gezeigt, dass Betroffene ein Ungleichgewicht im Bereich der Neurotransmitter aufweisen. So liess sich eine erhöhte Konzentration der Substanz P, die unter anderem für die Schmerzübertragung zuständig ist, nachweisen. Und zwar bei einem gleichzeitig zu geringen Spiegel der schmerzlindernden Substanzen Noradrenalin und Serotonin.

Bachmann erklärt anhand eines Beispiels: «Angenommen man möchte einen Nagel in die Wand schlagen und trifft dabei den Daumen. Nun schüttet der Körper zuerst die Substanz P aus und als ‹Gegenreaktion› schmerzlindernde Substanzen. Bei Menschen mit Fibromyalgie kommt es aber nur zu einer Hochregulierung der Substanz P, nicht jedoch zu der körpereigenen Gegenmassnahme. Daher reagieren Betroffene schon bei einem geringen physiologischen Reiz mit durchaus starken Schmerzen.»

Diagnose und Therapie auf allen Ebenen

Für die Diagnose braucht es neben einer körperlichen Untersuchung eine genaue Erfassung der Beschwerden im Rahmen eines ausführlichen Gesprächs. «Dabei ist es wichtig, dass auch der Alltag des Betroffenen beleuchtet wird, um beispielsweise Stressfaktoren am Arbeitsplatz, Belastungen im Haushalt, Probleme in der Beziehung oder im familiären Umfeld ausfindig zu machen. Denn diese können Weichteilrheuma begünstigen», weiss Stefan Bachmann und fügt hinzu: «Die Patienten haben meist ein langes Leiden und viel Unverständnis hinter sich, bis sie richtig diagnostiziert werden. Da kommt bedauerlicherweise oft auch eine depressive Komponente dazu.»

Nicht zuletzt aus diesem Grund gilt es bei der Therapie auf allen Ebenen anzusetzen. Dabei steht die Aufklärung des Patienten an erster Stelle, denn nur wenn die Erkrankung verstanden wird, kann die Behandlung tatsächlich und vor allem langfristig erfolgreich sein.

Bewegung ist freilich das A und O, wobei zusammen mit einem Physiotherapeuten individuelle Trainingsprogramme erstellt werden sollten. «Da körperliche Betätigung aber Schmerzen verursacht, benötigt der Betroffene Schmerzmittel – von Salbenverbänden über lokale Kortisonspritzen bis zum Anti-Rheumatikum. Dadurch werden weniger Schmerzreize ausgesendet, wodurch ein Training überhaupt möglich wird», erklärt der Experte, der seinen Patienten mitunter auch Antidepressiva verschreibt: «Einerseits um tatsächlich aufgetretene depressive Verstimmungen zu behandeln. Andererseits weil ein Antidepressivum Serotonin und Noradrenalin hochreguliert und somit das Ungleichgewicht im Bereich der Neurotransmitter ausgleicht.»

Ergonomische Massnahmen machen ebenfalls Sinn, etwa wenn der Mausarm von einer falschen Haltung am Computer herrührt. Genauso ist es hilfreich, sich mit autogenem Training, Yoga, Qi Gong, Tai Chi oder einer anderen Entspannungstechnik auseinanderzusetzen, sich also zu erden und seine Mitte zu finden. «Weichteilrheuma ist», so Bachmann, «gut behandelbar, wobei das aktive Mitwirken des Patienten entscheidend ist. Und zwar sowohl im Hinblick auf das körperliche als auch das geistige Training.»